
VISION NACHHALTIGE BILDUNG
Strukturelle Diagnosen
– Die vermeintliche ‚Funktionalität‘ von Knappheit und Konkurrenz im Bildungssystem
Die Bildungssystemverantwortlichen, wie möglicherweise die Mehrheit der Menschen und Gesellschaftsmitglieder, scheint davon auszugehen, dass die Menschen füreinander und zueinander latent Konkurrenten sind und zwar spätestens dann, wenn sie das Bildungssystem verlassen. Vor diesem Hintergrund scheint sich die Aufgabe zu ergeben, etwas dafür tun zu sollen/ zu müssen, dass gerade nicht alle Menschen – als nachhaltig Gebildete – selbstbewusst, aktiv und selbstbestimmt agieren. Und so finden sich in den Bildungssystemen der Welt auf der Basis der Annahme von erwartbarer Konkurrenz der Menschen untereinander viele Formen und Wege, um gerade das Entstehen des eigentlich wünschenswerten Ergebnisses selbstbewusster, aktiv und selbstbestimmt agierender Menschen einzuschränken oder es sogar zu verhindern – jedenfalls für die Kinder der anderen. Diese Formen und Wege wurden gefunden und ‚funktionieren’ allerdings i.d.R. ohne dass sie in ihrer wirklichen Funktion erkannt und benannt würden; vielfach sogar ohne dass die dafür Verantwortlichen selbst es wirklich wissen und verstehen.
Mit dieser Einschätzung kann man sich neben vielen anderen auf Siegfried Bernfeld, Heinz von Förster, Buckminster Fuller, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann berufen. Was diese Autoren eint, ist, dass sie das Bildungssystem als Teilsystem in der Gesellschaft und in seiner Funktion für diese Gesellschaft beobachten und theoretisieren. Sie ergänzen ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen als Agierende im und für das System durch andere Wahrnehmungen und Erfahrungen. Durch diese auch externe Positionierung als Ausgangspunkt der Betrachtung und Analyse erschließen sich auch solche Sachverhalte, die im System – durchaus zum Selbstschutz der Bildungssystemmitglieder – nicht erschlossen und kommuniziert werden. Ein Befund dieser systemischen Beobachtungen ist:
Es war/ erscheint für viele Menschen legitim, im Medium des Bildungssystems eine persönliche Überlegenheit über andere anzustreben oder zu erhalten, …
Eine grundsätzliche Klärung:
Man ist, was man isst –
Auch bei der geistigen Kost
Wer man als Mensch ist, basiert auf dem, was einem im Laufe eines Lebens begegnet und herausfordert. Das ist es, was uns Menschen ‚erzieht’. Was uns insgesamt begegnet, ist aber auch das, was wir gezielt zu unserer ‚Bildung‘ von anderen Menschen angeboten bekommen. Das kann unser Mensch-Sein erweitern und dazu beitragen, ein Mensch-Sein gezielt und mit Bedacht zu entfalten.
Diese heute auch neurowissenschaftlich fundierte Überlegung bestätigt, was ‚eigentlich‘ schon vor 200 Jahren mit der Begründung der wissenschaftlichen Pädagogik durch Johann Friedrich Herbart, dem Nachfolger auf Immanuel Kants Lehrstuhl, ‚klar‘ war: Die Qualität und Wirksamkeit von Erziehung und Bildung hängt wesentlich von der angebotenen „geistigen Diät“ ab. Und so gilt damals wir heute:
„Die Erzieher hören nicht auf zu klagen, wie viel ihnen die Umstände verderben, die Bedienten, Verwandten, Gespielen, der Geschlechtstrieb und die Universität! Natürlich genug, wenn da, wo mehr der Zufall als menschliche Kunst die geistige Diät bestimmte, bei der oft so magern Kost nicht immer eine robuste Gesundheit hervorblüht, die allenfalls dem schlimmen Wetter trotzen könnte.“ (Herbart (1806), S. 17).
Eine realistische Vision:
Die Entfaltung von Selbstbestimmung und Verantwortungsübernahme
In einer freien, demokratischen und zugleich wissensbasierten Gesellschaft, bräuchte es ein Bildungssystem, das – in der Realität und nicht nur in Sonntagsreden – der Schülerschaft ein durchdachtes Arbeitsangebot zum guten Verstehen und verantwortlichen Mitgestalten eben dieser Gesellschaft machte. Verbunden mit der dazu tauglichen ‚geistigen Kost‘ sollte sich im Bildungsprozess allen die Gelegenheit bieten, in einer ‚Denkwelt zum Weltendenken’ ein begründetes Wählen, Entscheiden, aber auch für ein sanktionsfreies Erproben, Bedenken und Austauschen von Konzepten und Entscheidungen zu praktizieren, damit eine ‚robuste Gesundheit‘ entstehen kann.
Entsprechende Orte wären dann solche einer individuell nachhaltig wirksamen Bildung, also Orte, wo eine Einübung in den Gebrauch der Freiheit des Wählens, Ablehnens, Gebrauchens und Verwerfens von Aufgaben und Wissensangeboten möglich ist, wo eine eigene Vorstellung von der Welt und ihrer Ordnung selbstbestimmt entstehen kann, wo begründetes, eigenständiges Tun und Entscheiden als ein Ausdruck der Übernahme von Verantwortung erwartet und respektiert wird. Bildung so zu denken, kann bedeuten, gut zu wissen, was zu tun ist, ohne zu bestimmen, was das Resultat sein wird. Geht das? Omnimundi macht einen Vorschlag http://www.omnimundi.de
Let’s re-invent education
Das Vorliegende ist in praktischer Absicht ein Plädoyer für eine kritische Selbstvergewisserung der Wissenschaften zu Bildung und Erziehung.
Deren Ausgangspunkt ist – oder besser: sollte sein – die Erziehungs- und Bildungsfähigkeit und -bedürftigkeit der Menschen. Wie und wer Menschen sind und werden, entscheidet sich durch die jeweiligen Lebensbedingungen und deren Reflexion und Erweiterung in organisierten Bildungsprozessen. Was diese zu bewirken in der Lage sind, hängt davon ab, welchem Konzept sie folgen und was dessen praktische Konsequenzen sind. Hier gilt: Jeder erfährt nur, was er versucht.
In Zeiten, in denen viele die ‚Empirische Bildungsforschung’ als die ‚eigentliche’ Wissenschaft zu Erziehungs- und Bildungsphänomenen und -systemen ansehen, ist es nützlich, daran zu erinnern, als wie wenig sachgerecht es eingeschätzt werden muss, wenn das praktisch Erfahr- und Messbare für das theoretisch und praktisch Mögliche in Bildungs-prozessen gehalten zu werden sich anschickt.
„Dagegen ist denn aber auch schon bis zur Ermüdung oft und weitläufig bewiesen, auseinandergesetzt und wiederholt, daß bloße Praxis eigentlich nur Schlendrian und eine höchst beschränkte, nichts entscheidende Erfahrung gäbe…