
SCHULE ALS ENTFALTENDER BILDUNGSRAUM
Raumtradition
– Vorne spielt die Musik
In der Regel folgen Schulen, und auch andere Bildungseinrichtungen, der Idee, dass die adressierten Schüler/ Studierenden/ Weiterbildungskunden sich in Richtung einer Präsentationsseite des Raumes ausrichten: Die ‚Musik‘ spielt vorne und der/ die Hauptakteur:in ist der/ die Lehrende. So entsteht bei Sitzreihen eine gewisse Unbeweglichkeit für alle Lerner. In Schulen ist die Platzierung der Lernenden im Klassenraum oft verbindlich festgelegt, so dass man die möglichen Vor- und Nachtteile eines Platzes über längere Zeit genießt oder erleidet.
Ergonomisch sind Möbel in Bildungsräumen in der Regel gegenüber den sehr verschiedenen Körpergrößen der Adressaten unangepasst – weil für alle gleich. Was die Beweglichkeit des Mobiliars angeht, ist sie oft nicht gegeben, so dass andere Anordnungen immer mit einem gewissen Aufwand verbunden sind. Das führt dazu, dass Wechsel der Tischanordnungen in Relation zu unterschiedlichen Arbeits-/ Kooperationsbedarfen vielfach nicht realisiert werden.
Die Farbgebung, die Belichtung und die Akustik folgen oft nicht den Bedarfen, die an den einzelnen Arbeitsplätzen empfunden werden: Nicht selten ist es kaltes Neonlicht, was in Ergänzung des Tageslichts genutzt wird und sehr oft ist die akustische Situation in den hinteren Bereichen z.B. einer Klasse so, dass die einfache Sprachverständlichkeit nicht gesichert ist. Das ist vor allem dann gravierend, wenn in der Schülerschaft solche sind, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, und die ungenaue Wahrnehmbarkeit der Sprache das Verstehen und Erlernen der Sprache zusätzlich schwer macht, auf jeden Fall aber behindert.
Alternativen
– Der Raum als dritter Erzieher
Umgebung erzieht, das weiß man auf jeden Fall seitdem Maria Montessori eine ‚vorbereitete Umgebung‘ für die Kinder und Schüler:innen in den Einrichtungen etabliert hat, die nach dem Montessori-Konzept arbeiten. Auch in den Schulen im skandinavischen Raum wird der erzieherischen Wirkung und Kraft des Raumes traditionell deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als im deutschen Sprachraum. Allerdings haben sich von diesem Vorbild etliche Schulen anregen und inspirieren lassen, so dass man auch hierzulande Lernräume finden kann, die mit Lernangeboten ausgestattet sind, die freie Platzwahl für das Arbeiten ermöglichen, die bewegliches Mobiliar haben und der Tatsache Rechnung zu tragen versuchen, dass die Lernenden sehr unterschiedliche Körpergrößen haben, so dass variante Bestuhlungen und Tischhöhen nötig und auch möglich sind.
Ein prominentes Beispiel für eine grundsätzlich alternative Gestaltung von Lernräumen stellen in Deutschland die Laborschule Bielefeld dar – und in Schweden die von vielen besuchte Futurum-Schule in Habo-Commune. Hier wie dort ist das Zentrum des Raumangebots ein großer Raum, von dem aus man in angelagerte Nischen und auch angedockte Räume gelangt. Solch ein Raum steht hier einer großen, jahrgangsübergreifend zusammengesetzten Lerngruppe zur Verfügung und enthält auch Bildungsmaterialien, die allgemein zugänglich sind. Die Folge solcher Arrangements ist, dass Lernende sich selbst für die Arbeit an Aufgaben organisieren und so auch immer wieder zu varianten Gruppenbildungen und Platzierungen im Raum kommen. Im Futurum ist darüber hinaus eine Zentrierung aller in Richtung einer Bühne im zentralen Raum angelegt und es gehört zum Alltag, dass darauf Lernende für andere Lernende etwas präsentieren oder aufführen. So wird deutlich, dass alle mit ihrer Arbeit die Aufmerksamkeit der anderen ansprechen und gewinnen können und diese Rolle eben nicht vorrangig den Lehrenden vorbehalten ist.
Bildungsräume als Setting
Mit der Gestaltung und Ausstattung eines Raumes schafft man mehr oder weniger gute Bedingungen dafür, dass Menschen ein Gebrauch ihrer Möglichkeiten für bestimmte Zwecke eröffnet wird. Das gilt für Wohnungen, Kirchen, Sportstätten und eben auch für Schulen und Hochschulen. Für Bildungsräume sollte man erwarten dürfen, dass sie ihre Nutzer so ‚ansprechen’ zu können, dass eine Art individueller Entfaltung angeregt und ermöglicht wird. Es sind dazu vier verschiedene Aspekte zu unterscheiden, die für den Raumnutzer eine je eigene Botschaft senden und darin bedacht werden wollen. Um das Gefüge, das Settings ausmacht und das sie planvoll anbieten können, geht es im Folgenden. Im Einzelnen sind vier Dimensionen von Settings zu betrachten, von denen Wirkungen ausgehen:
- Das sind die Bildungsangebote im Raum, die die inhaltliche Arbeitsbasis für das Sehen/ Verstehen/ Aufgreifen und Nutzen von Arbeitsanregungen darstellen. Neben realen Objekten wie Büchern, bearbeitbaren Gegenständen, Ordnern, sind das heute auch informatisch zugängliche Inhalte, die Anregungen, Informationen, Erklärungen, Diskussionen gezielt bereit stellen können – eine material vorbereitete Umgebung im Netz sozusagen (als was sich OmniMundi versteht).
- Die zweite Dimension des Settings, die wirksam ist, ist der Raum selbst mit seinen Merkmalen (Licht, Akustik, Bewegungsfähigkeit…), der einladend, nichtsagend, abweisend … wirken kann und wirkt.
- Mit der Nutzung der Räume verbinden sich dann auch zeitliche Rhythmen und reale Zusammensetzungen von Nutzergruppen, die die mögliche Form von Prozessen im Setting durch Homogenität/ Heterogenität der Zusammensetzung oder/ und durch die Art der angeregten Arbeitsweisen/ Teambildungen/ Gruppenorganisation bestimmen.
- Die drei benannten Dimensionen werden als vierter Dimension ggf. aufeinander bezogen und zwar von Akteur:innen, die in die Situation Impulse setzen: Aufforderungen, Verbindungsvorschläge, Kommentare, Lob, Tadel etc. aktivieren oder deaktivieren die Nutzer:innen des Settings und sorgen u.U. für eine spezifische Dynamik im Setting.
Summierend lässt sich sehen: Im Verbund der vier Gesichtspunkte – Inhalt/ Gehalt, Raum/ Gestalt, Umgangsweisen/ Format und Impulsen entstehen ‚Kulturen’ als dem dann mehr oder weniger planvoll gesponnenen Gewebe, das sich im ‚Zusammen’ der ‚Inszenierung’ der benannten Elemente ergibt.
Raumdiskurse
– Vielfältiges Wissen im entfaltenden Gebrauch
Wenn man im Diskurs darüber ist, wie sich Räume auf darin vollzogene Aktivitäten auswirken, dann ist der persönliche Eindruck eine wichtige Grundlage; allerdings weiß man oft nicht zu sagen, was einem zusagt, was stört, wie das auf die erfahrende Aktivitäten wirkt. Das liegt daran, dass wir Menschen keinen ‚Raumsinn‘ haben, sondern ’nur‘ unsere Lebenserfahrung unsere Raum-, und erst recht unsere Setting-Wahrnehmung schult. Bildungssettings gestalten –
Den Raum als bildungswirksame Kraft entdecken
– das will insofern wirklich gelernt sein. Es verbindet sich mit viel fachlicher Expertise, Raumwirkungen gezielt herbeizuführen oder zu ändern und das Ergebnis dann in einem durchdacht gestalteten Bildungssetting gezielt zu nutzen. Insofern können hier Austausch- und Denkrunden erwartbarerweise zu einer Hilfe und Bereicherung werden.
Eine Sammlung von fachlichen Überlegungen zu relevanten Faktoren in Bildungsräumen bietet das Heft: LernTräume 20/2002 https://www.friedrich-verlag.de/shop/lerntraeume-537020